Feuchte Schwaden streckten ihre Arme nach ihnen aus und zogen sie in die Düsternis des Waldes. Das Tosen des fernen Wasserfalls drang nur noch dumpf an ihr Gehör und wurde schon bald von der beklemmenden Stille verschluckt. Es schien, als hätten selbst die Pferde das Atmen eingestellt. Kein Schnauben war zu hören, kein Ächzen der Achsen, kein Knarren der Kutschräder, nicht einmal der dumpfe Hufschlag auf waldigem Boden.
»Mummy«, flüsterte Nicholas mit atemloser Stimme, während er seinen Blick gebannt aus dem Kutschfenster richtete, »dies ist der Wald, von dem ich einst geträumt habe.«
Er war so sehr mit andächtigem Staunen beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie seine Mutter erschauerte.
»Der Nachtengel hatte mich hergeführt, jetzt erinnere ich mich wieder. Auf seinen Schwingen bin ich über den Wald gekreist und habe unter mir die Quelle liegen sehen. Er sprach in jener fremden Sprache zu mir, die ich dennoch verstand.«
Rebecca vermochte nichts zu erwidern, seine Gewissheit nahm ihr die Worte.
Auf verschlungenen Wegen durchfuhren sie den Wald, in dem kein Laut zu hören, kein Licht zu sehen war, nichts, das ihren Sinnen Orientierung geboten hätte, nur das bloße Sein, ohne Zeit und Raum, als hätte das Nichts sie bereits verschlungen.
Nach einer nicht fassbaren Weile tat sich eine Lichtung vor ihnen auf. Ihr Blick wurde freigegeben auf einen zerklüfteten Felsvorsprung, der im Schatten einer massiven Gebirgswand lag. Am Fuße desselben erstreckte sich eine Ebene, die ein überwältigendes Panorama auf die dahinterliegenden Gebirgsketten freigab. Alles war in das feurige Licht der untergehenden Sonne getaucht.
Die Pferde hatten es jetzt eilig, in ihren heimatlichen Stall zu kommen. Trotz der erheblichen Steigung brauchte Heinrich sie nun nicht mehr anzutreiben. Schon erreichten sie auf einem schwindelerregenden Grat das erste Portal, dessen schweres mit Eisen beschlagene Holztor bereits für sie offen stand. Sodann näherten sie sich einem weiteren Portal.
Kaum hatte er dieses durchschritten, fiel sein Blick auf ein drittes Portal, das in noch einiger Entfernung lag. Mit jedem Schritt, den er sich diesem näherte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Er hatte es fast erreicht, als er wie festgewurzelt stehenblieb. …
aus: Nicholas - Zwischen den Welten, Seite 277-279
aus: Nicholas - Zwischen den Welten, Seite 301-302